Photowettb 2010 Dülmener auf Texel  Heike KlabesFoto: Heike KlabesReiten in der Natur erfordert immer eine andere Art der Umsicht je nach Reitgebiet. Manchmal sind es unterschiedliche Gesetze oder Landesvorschriften, an die sich der Reiter zu halten hat.
Extrem wird es, wenn Naturgesetze dazu kommen, deren Beachtung lebensnotwendig sind:

Ich spreche vom Reiten auf dem Meeresboden! Durch die Anziehungskraft des Mondes wird das Weglaufen und Wiederkommen des Meereswassers (Ebbe und Flut) bestimmt, dafür existieren genau berechnete Tabellen, die man im Internet findet oder kaufen kann.
Für die Nordseeküste ist das der

Gezeitenkalender des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) für um die 2,50 €

Dort findet man viele Angaben zu verschiedenen Küstenabschnitten vor bekannten Orten. So ist auch Cuxhaven zu finden. Aber vor Ort können die Angaben erheblich schwanken! Wer beispielsweise vor Sahlenburg, das westlicher liegt, fahren, reiten oder spazieren gehen möchte, muss zwanzig Minuten von dieser Tabelle abziehen! So etwas erfährt man von Einheimischen oder gut ausgebildeten VFD-Rittführern, die sich, wie ich im speziellen Fall, darauf spezialisiert haben.

Was bedeutet das für die Praxis? Ich wurde oft gefragt, wann man denn nun losreiten könne, um nach Neuwerk zu kommen. Am besten sei doch sicherlich das Reiten nach Niedrigwasser!?

In manchen Küstenregionen ist das sicherlich noch möglich, weil es keine Priele gibt, die schnell wieder bei Flut vollaufen können oder aber im rechten Winkel zum Ufer verlaufen. Auf der Strecke zwischen Sahlenburg und der Insel Neuwerk befinden sich fünf große Priele, die alle parallel zur Küstenlinie verlaufen. Sie alle schneiden einem bei auflaufendem Wasser den sicheren Heimweg ab. Nicht umsonst findet man hier „Rettungskörbe“, die hoch aus dem Boden, dann eher ja auch Wasser, herausragen, um Abgeschnittene aufzunehmen und zu retten. Je nach Wetter- und Einsatzlager werden diese Personen dann von einem Amphibienfahrzeug, natürlich kostenpflichtig, abgeholt oder man muss bis zur nächsten Ebbe (frierend!) warten.

Wann also ist hier bei Sahlenburg das Reiten auf dem Meeresboden möglich? Die Faustformel heißt:

3 = 1 + 1 + 1


Drei Stunden vor dem angegebenen Niedrigwasser (NW) minus 20 Minuten kann ich losreiten, ich benötige eine Stunde für den Hinritt, habe eine Stunde Aufenthalt auf der Insel und benötige eine Stunde wieder zurück!

Manchmal erlaubt einem die Wetterlage (ACHTUNG! Zweites Naturgesetz!) erst zwei Stunden vor NW das Queren der Priele, dann verkürzt sich die Pause auf der Insel gewaltig! Die Grundregel vor Sahlenburg lautet:

Bei Niedrigwasser (NW) gehört der Hintern an Land!

Überhaupt die Priele! Manche haben Fürchterliches darüber gehört, manche sind schon hinein gefallen und manche genießen es einfach, dieses Naturereignis zu durchqueren. Im Prinzip durchreitet man nur einen Bach von ca. 10 bis 15 m Breite. Die Strömungsgeschwindigkeit beträgt je nach Wind und Wetter ca. einen bis zwei Meter pro Sekunde! Das zerrt an den Pferdebeinen. Bei unerfahrenen und jungen Pferden ist zu erwarten, dass sie stehen bleiben oder sogar umkehren wollen. Am Besten reitet man mit einem erfahrenen Pferd an der Seite oder vorweg und benutzt treibende Hilfen.

Es gibt kaum Schöneres als mit einem Pferd mit Bugwelle durch das Meerwasser zu reiten. Es riecht eben nicht nach Fluss, sondern nach mehr! Entschuldigung! ……Natürlich nach Meer!

Die Wattwagenpferde gehen dort täglich durch. Diese „Profis“ sind manchmal bis zur Kruppe im Wasser und ziehen einen Holzwagen, der manchmal auch aufschwimmt, obwohl er sehr hochbeinig gebaut wurde. Aber keine Angst! Bisher ist noch keins dieser Pferde ertrunken! Diese „Schwimmphase“ sieht man auch nur an der tiefsten Stelle auf einer Länge von vielleicht 5 – 10 m. Danach hat der Wagen wieder Bodenkontakt und die Pferde ziehen kontinuierlich weiter!

Diese unterschiedlichen Wasserstände, das wechselhafte Wetter und die immer wechselnden Eindrücke machen das Wattreiten so einzigartig und nie langweilig!

Bei Sturm, zu hohem Restwasser und Gewittergefahr werden die Wattwagenfahrten abgesagt und dann rate ich Keinem das anders zu machen!!

Der Vollständigkeit halber erwähne ich, dass im ersten Priel, dem so genannten „Sahlenburger Loch“, Grobkies das Tieferwerden des „Grabens“ verhindert, denn die Strecke zur Insel wird auch täglich mit Traktoren zur Versorgung der Insel genutzt und was wäre ein Ritt zur Insel, wenn es dort nichts zu trinken gäbe?

Immer wieder die Frage, was ziehe ich mir und dem Pferd an? Nicht zu wenig, denn Sonnenbrand ist die häufigste Schmerzursache! Eine Regenjacke in der Tasche, Hose und das Andere wie zuhause. Es darf auch etwas älter sein, denn wir reiten im salzigen Meerwasser. Meinem Sattel tue ich das seit 12 Jahren an und er zeigt keine Spuren davon, weil er hinterher immer gut gepflegt wird. Es ist immer richtig, Meerwasser mit Leitungswasser möglichst sofort zu beseitigen. So halte ich es auch mit den Chaps, die ich anschließend sofort im Eimer wasche (!) und sie einfach aufhänge. Am nächsten Tag habe ich trockenes Leder! So auch nasse Hosen oder Stiefel handhaben, denn Meerwasser kann nicht richtig trocknen, da der Salzgehalt die Feuchtigkeit förmlich anzieht!

Grundsätzlich darf keiner mit mir reiten, der dem Pferd Gamaschen (zur Schonung!) anlegt, denn der Sand und das Salzwasser schaffen sofort blutige Wunden. Ich reite mit Gummischuhen, die auch gern mal volllaufen dürfen, Socken habe ich ersatzweise für die Folgetage dabei! Man muss immer gefasst sein, dass man am Fuß oder Bein mit Wasser in Berührung kommt. Stellt euch vor, ihr reitet durch einen Priel und nun berühren die Wellen den Stiefel. Normale Reaktion: Füße hoch! Jetzt spätestens verliert das Pferd seine Führung durch das Bein, für ein unerfahrenes Pferd ganz schlecht, meistens auch für den Reiter, der beim nächsten Fehltritt vom Pferd fällt! Also! Beine lang! Wasser marsch!

Ansonsten gelten im „Nationalpark Wattenmeer“ einige Regeln:

  • Alle Vorschriften in den Schutzzonen I, II und III, besonders was das Betreten und Bereiten betrifft!
  • In den Dünen und am Deich ist das Reiten verboten!
  • Vor dem Strand gilt ein Reitverbot von 400 m!
  • Der gewerbliche Verkehr hat immer Vorrang!
  • Von Menschen ist ein Abstand von ca. 10 m empfehlenswert, denn Spritzwasser fliegt weit. Beim Galopp sollte der Abstand mindestens 25 m betragen!
  • Wattwagen dürfen nicht im Galopp überholt werden!
  • Tiere und Pflanzen genießen einen besonderen Schutz!


Die Wattführer und die Wattwagenfahrer haben Funk dabei und sehen „ALLES“. Schon mancher hat auf der Insel sein persönliches Donnerwetter erlebt! Am Wochenende sitzen auf der Übersichtsbank auf Neuwerk gern auch Polizisten mit Präzisionsferngläsern!

Das Reiten selbst regelt sich in der Gruppe so, dass auf den Schwächsten Rücksicht genommen wird. Unser Galopp ist immer gruppentauglich! Wer sein Pferd in der Gruppe rennen lässt, kann nicht reiten! Wer den Rittführer überholt, kann nicht reiten! Ich höre oft: „Aber diese Weite hat mein Pferd verrückt gemacht!“ Seit zwanzig Jahren habe ich das noch nicht erlebt! ABER sehr oft Reiter, die sich überschätzt haben oder ihr Pferd und sich selbst nicht trainiert hatten. Sicher gibt es ein paar Besonderheiten, auf die ich als ReiterIn reagieren muss:

  • das Gruppenverhalten meines Pferdes
  • die richtige Zäumung für das Reiten in der Gruppe
  • meine Fitness. Vier Tage auf der Insel = ca. 75 km Reiterlebnis pur!
  • wie reagiert mein Pferd auf Wasser? Habe ich es hingenommen, dass mein Pferd jeder Pfütze ausweichen darf?
  • Die Größe des Pferdes, in der Gruppe gab es bei uns aber bisher keine Probleme, selbst im Mix mit Shettys…
  • Mein Platz in der Gruppe, der tauschbar sein muss.
  • Genussfähigkeit!


Was soll das denn? Ich muss in der Lage sein, mich zu entspannen, auch wenn scheinbar die Lage stressig wird. Ich muss dem Pferd mitteilen: „Alles okay! Ich bin bei dir!“ Ein ständiges Rufen des Pferdenamens: „Lass das!“ macht die Sache nicht besser, nervt nur die MitreiterInnen!

Richtig „gefährlich“ wird es eigentlich immer am Elberand, dann nämlich, wenn die Wellen „nach den Pferdebeinen schnappen“. Die denken wirklich, die kleine Welle will mich großes Pferd fressen. Wer dann 180 °- fest ist, hat keine Probleme, die Anderen geben einen aus, wenn der Ritt schon Legende geworden ist. Wo? Natürlich am Tresen! Übrigens: Wenn ich den Einrittwinkel klein halte, also fast parallel hineinreite, gewöhnen sich die Pferde schnell daran! Ein Fehler, der oft beobachtet wird, ist das Durchreiten eines Prieles im Galopp. An der tiefsten Stelle kann es passieren, dass das Pferd die Vorderbeine nicht mehr aus dem Wasser bekommt. In der Regel bedeutet das: Überschlag, das kann man vermeiden!

Mit Training und Umsicht ist das Wattreiten für mich das schönste reiterliche Erlebnis!


Martin Rühl – VFD (Watt-)Rittführer

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