Aus der Notwendigkeit zu einem großen Bewegungsradius – denn ansonsten wären die Vorfahren unsere Pferde schlichtweg verhungert – ist ein großes Grundbedürfnis nach Bewegung entstanden, psychisch wie physisch. Auch mehr als 5000 Jahre züchterischer Einfluss des Menschen haben dieses – wie auch andere – natürliche Grundbedürfnis nicht beseitigt. So führt ein Zwang zu Bewegungslosigkeit (zum Beispiel durch Anbinde- oder Boxenhaltung) zu Langeweile, Stress, Unausgeglichenheit bis hin zu Verhaltensstörungen (zum Beispiel Weben, Koppen etc.). Wissenschaftler erklären dies durch das nach beziehungsweise bei Bewegung vermehrte Vorhandensein bestimmter Botenstoffe (sog. Endorphine oder auch „Glückshormone“) im Gehirn. Das Prinzip „Laufen macht süchtig“ kennen beispielsweise auch Langstreckenläufer, die bei Trainingszwangspausen regelrecht Entzugserscheinungen verspüren. Wenn Pferde als Ersatzhandlung weben oder koppen werden übrigens auch genau diese Endorphine freigesetzt. Viel Bewegung hält Pferde gesund
Mangelnde Bewegung ist aber auch die Ursache für eine ganze Reihe von körperlichen Problemen, die unsere modernen Pferde plagen. Nicht umsonst sagen so viele Tierärzte: „Die meisten Pferde stehen sich kaputt.“ So ist das Verdauungssystem des Pferdes auf die fortlaufende Verwertung faserreicher, energiearmer Nahrung ausgelegt, wobei die ständige Bewegung – bei der die Bauchmuskulatur ja mitwirkt - gleichzeitig die Darmperistaltik (Eigenbewegung des Darms zum Transport des Darminhalts) fördert. Ausreichende Bewegung ist also wichtig für eine störungsfreie Verdauung. Zu wenig Bewegung fördert das Auftreten von Koliken (meist sogenannte Anschoppungskoliken, die durch unregelmäßigen Transport des Darminhalts entstehen, im Gegensatz zu Gaskoliken, die meist durch Hyperperistaltik (vermehrte Peristaltik in Folge von Stress, Aufregung, verdorbene Futtermittel oder Fütterungsfehler). Das gesamte Skelett des Pferdes mit den dazugehörenden Bändern und auch die Muskulatur ist ausgerichtet auf eine ruhige gleichmäßige Bewegung mit tiefgehaltenem Kopf und gleichzeitig möglichst energiesparenden Sprints im Notfall. Gelenke und Muskeln werden durch die permanente Bewegung geschmeidig gehalten, um bei Gefahr jederzeit verschleißfrei Höchstleistungen erbringen zu können. Beispielsweise benötigt Gelenkknorpel nach längerer Ruhepause mindestens 15 Minuten schonende Schrittbewegung, bis er sich ausreichend mit Wasser gefüllt hat, um seine maximale stoßbrechende Wirkung entfalten zu können. So kann also intensives von Höhepunkten geprägtes Training ohne ruhige Vorbereitung Gelenkschäden hervorrufen. Das gilt übrigens auch für das Laufen lassen ohne eine kontrollierte Aufwärmphase im Schritt! Insbesondere für die Rückenmuskulatur bedeutet das ständige Grasen ein sanftes „Stretching“. Auch tägliches Striegeln oder Massieren kann diese natürlichen „Lockerungsübungen“ nicht ersetzen.
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