Ursula Bruns zum hundertsten Geburtstag
In den fünfziger Jahren schien das Pferd endgültig ein Auslaufmodell. Maschinen hatten es in allen Arbeitsbereichen überflüssig gemacht. In der Fachwelt kamen bereits Stimmen auf, es würde als erstes Nutztier wieder aussterben. „Und dann kam alles ganz anders“, schreibt Ursula Bruns, als sie Jahrzehnte später auf diesen erstaunlichen Umschwung zurückblickt. „Beinah über Nacht war das Pferd wieder da! War plötzlich heißbegehrt von Menschen, die früher nie mit ihm zu tun gehabt hatten.“ Die Genugtuung in ihrer Stimme ist förmlich zu hören, hatte doch im deutschsprachigen Raum niemand mehr Anteil an dieser Entwicklung als sie. Aus bescheidenen Anfängen entwickelte die Freizeitreiterei sich zur Massenbewegung und damit auch zu einem riesigen Markt für Pferde und alles, was dazugehört. Als Autorin und Herausgeberin, als Reitlehrerin und passionierte Reisende, als unermüdliche Anregerin und streitbare Widersacherin hat Ursula Bruns unzähligen Menschen und Pferden diesen neuen Weg geebnet.
Am 1. September 1922 in Bocholt geboren, war sie von Kindheit an „eingenommen von Pferden, ich war glücklich mit ihnen. Ich wollte dieses freie Leben.“ Ihre reiterlichen Fähigkeiten standen nie in Frage. Als sie, als erste europäische Frau überhaupt, an einem der berühmt-berüchtigten amerikanischen Distanzrennen über hundert Meilen teilnahm, in unbekanntem Terrain und auf einem ihr unbekannten Pferd, wurde sie aus dem Stand vierte. Was sie auszeichnete war jedoch, dass sie zugleich großes erzählerisches Talent besaß. Sie hatte Kunstgeschichte und Germanistik studiert, arbeitete auch als Übersetzerin und verstand es, auf sprachlich hohem Niveau und dennoch allen verständlich zu schreiben. Ein Glücksfall für die Pferdewelt.
Ihr erstes Jugendbuch, Dick und Dalli und die Ponies, geriet 1952 zu einem überraschenden Erfolg und wurde bald auch verfilmt – der Anfang der legendären Immenhof-Reihe, die das Genre des deutschen Heimatfilms mit prägte. Beim ersten Film war Bruns auch für die reiterliche Betreuung der Schauspieler und die Beschaffung der Pferde zuständig. Und das mussten, der Vorlage folgend, ihre „heißgeliebten Islandpferde“ sein. Als eine der ersten führte sie die in Deutschland ein – und löste damit einen Boom aus, der bis heute anhält. Ihre Begeisterung für Tölter führte sie später noch um die halbe Erde, wodurch sie die Palette der Pferdewelt in ihrer ganzen Buntheit kennenlernte und dann auch andere Robustrassen hierzulande bekannt machte.
Aus dem anfänglichen Mitteilungsblatt Pony-Post ging schließlich die Zeitschrift Freizeit im Sattel hervor, über Jahrzehnte hinweg das Zentralorgan der Freizeitreiterei als einer naturnahen, lustbetonten und nicht auf Sport und Wettkampf fixierten Partnerschaft mit Pferden. Diese Bewegung ging mit entsprechenden Reformen wie der Offenstallhaltung und der „leichten Reitweise“ einher.
Vom Zauber der Pferde
Weitere Jugendbücher folgten. Zeitlebens setzte Bruns sich auch eingehend mit der Kulturgeschichte von Mensch und Pferd auseinander, getragen von der Überzeugung, „daß in all diesen Jahrtausenden die immense Nützlichkeit des Pferdes begleitet war von einem tiefen Zauber. Und daß dieser auch den Menschen unserer Tage gefangen hält.“
Früh schon erkannte sie das Potential des Pferdes als Antwort auf die Defizite der modernen Zivilisation. „Es füllt diese große Unerfülltheit groß aus – ein lebendiges Tier, das mächtig ist, schnell ist, ja, unberechenbar ist, mit dem man sich vertraut machen kann, das einem Freund wird. Das an eine ganze Skala von Gefühlen appelliert.“ Mit ihrer Diagnose traf sie einen Nerv der Zeit, erntete jedoch auch schroffe Ablehnung von Seiten der etablierten Reiterszene. Die zu dieser Zeit noch stark von der militärischen Tradition geprägt war, in der Reitsport und Turnierwesen dominierten. Und nun wollte jemand ausgerechnet mit diesen wuscheligen Streunern aus Island das Reiten neu erfinden. Und zudem noch eine Frau!
Doch all diese Widerstände spornten Bruns nur an. 1958 begründete sie den späteren Islandpferde-Reiter- und Züchterverband (IPZV) mit, 1973 dann auch die Vereinigung der Freizeitreiter und -fahrer in Deutschland (VFD). Im münsterländischen Reken baute sie mit Gleichgesinnten ein Reitzentrum auf, das jene Methoden in die Praxis umsetzte, die sie gemeinsam mit der Pädagogin Inge Behr entwickelt hatte. Dort wirkte auch Linda Tellington-Jones, mit der sie eine langjährige Freundschaft verband. Bis heute steht Reken für einen anderen, sanfteren Umgang zwischen Mensch und Tier und für eine ganzheitliche Philosophie des Reitens.
Ihre Bücher wie auch die Freizeit im Sattel erreichten hohe Auflagen. Nicht unbeträchtlichen Anteil daran hatten die Bilder von Elisabeth Weiland, die der klassischen Reportagefotografie verpflichtet war. Ab Ende der achtziger Jahre verlor die Zeitschrift dann etwas an Boden. Bruns‘ einstmals revolutionäre Ideen waren auf dem besten Weg, Allgemeingut zu werden. Eine gewisse Routine griff um sich; mit der Zeit hatte sich das Publikum an ihre scheinbar unerschöpfliche Energie und ihr umfassendes hippologisches Wissen gewöhnt. Und so fiel es kaum mehr auf, dass viele ihrer Texte zum Besten gehörten, was in deutscher Sprache über Pferde geschrieben worden ist.
Ursula Bruns verbrachte ihre letzten Lebensjahre in der Nähe von Reken und blieb ihrem Lebenswerk bis zu ihrem Tod im April 2016 verbunden. Am 1. September dieses Jahres wäre sie hundert Jahre alt geworden.
Stefan Schomann
Interview mit Gründungsmitglied Ursula Bruns + Linda Tellington-Jones 1973 beim VFD-Jubiliäum in Reken
Liebe UB,
Es war eine interessante, eine spannende, eine lehrreiche und auch eine verrückte Zeit mit Ihnen in Reken.
Unsere Zusammenarbeit hat mich sehr geprägt und mir viel bedeutet. Ihre Ideen in Reken in die Praxis umzusetzen war immer schon ein Erlebnis. Artgerechte Pferdehaltung, Töltreiten, Westernreiten (J.C. Dysli) Distanzreiten (100 Milen) Linda Tellington Jones in Reken, Halsringreiten, die 1. offene Reithalle-das Rekener Dach und der Spielepark(1.Trailpark Deutschlands) die wunderbaren Freizeitreiter Festivals und die aussergewöhnlichen Seminare und so vieles mehr haben Sie ins Rollen gebracht. Sie haben die Freizeitreiter Szene geprägt wie kein(e) andere(r) und vielen Menschen einen neuen Weg zum Pferd gezeigt. Dafür ein ganz ganz grosses Dankeschön.
Und nun prosten wir mit ihren Lieblingsweisswein an und denke dankbar zurück an eine tolle Zeit. Möge Ihr Stern noch lange leuchten.
Ihr Jochen
01.09.1992 Geburtstagsgrüße zum 70. Geburtstag:
"Das gemeinsame Ziel, nämlich dem Pferd zu dienen im artgerechten Umgang und der naturorientierten Reiterei, hat uns immer verbunden - Sie auf dem Gebiet der Freizeitreiterei und ich auf dem der Schulreiterei im alten Sinne. Möge diese Verbindung auch in Zukunft bleiben." Egon von Neindorff
Interview mit der Pferdefachfrau Ursula Bruns über „leichtes Reiten“ und konventionelle Tierquälerei:
„Die Pervertierung beginnt, wo aus Leistungssport Profit-Sport wird“
Die Grundlage ist das Verhältnis vom Menschen zum Tier, das heißt es geht darum, sich auf möglichst einfache Weise miteinander zu verständigen, dem Pferd ohne Gewalt klarzumachen, was man von ihm will. Wir haben eine Sitzform entwickelt, die die Knochen von Pferd und Reiter entlastet, haben das Zaumzeug auf das notwendige Minimum reduziert, Sporen und andere Zwangsmittel abgeschafft, und wir haben uns überlegt, daß die Tierquälerei bereits bei der Boxenhaltung beginnt, denn es ist einem Lauf- und Herdentier nicht zuzumuten, durchschnittlich 23 Stunden am Tag mit dem Kopf zur Wand in einem dunklen, kleinen Raum zustehen. So haben wir für die Tiere den sogenannten Offenstall erfunden und für die Menschen eine Reitlehre, die sie verstehen und in kleinen Schritten lernen können.
Quelle: mit der taz. die tageszeitung vom 23. 7. 1990
Buchempfehlung:
Ursula Bruns, Zauber der Pferde.
Mit Fotos von Elisabeth Weiland.
Verlag Müller Rüschlikon, 1976/1999