Es gibt mich tatsächlich noch. Kaum zu glauben. Und das, obwohl ich mich seit Jahren ohne Helm aufs Pferd setze.

Ich gehe auch meist ohne volle Schutzausrüstung und unangeseilt Treppen runter. Ich nehme trotz jährlich über 3000 Verkehrstoten in Deutschland noch immer am Straßenverkehr teil. Und weil wir gerade bei Verkehr sind – die BZgA möge mir meine politisch inkorrekte Risikofreude verzeihen – ich verkehre ohne Gummi-Helmchen mit meinem Mann. Danach schlafe ich manchmal im Bett ein, obwohl dort statistisch belegt die meisten Menschen sterben. Suizidgefährdet wie ich bin, esse und trinke ich, stoisch alle Studien zu pestizidverseuchten und krebserregenden Lebens- und Genussmitteln ignorierend, und ich atme unsere ach so reine Luft, obwohl ich mir unsicher bin, ob das nicht vielleicht auch irgendwie gesundheitsschädlich sein könnte. Kurzum – ich lebe. Und wie schon Herr Kästner wusste: Leben ist immer lebensgefährlich.

Aber ich schweife ab. Also bleiben wir beim Thema. Da fragt sich jemand, warum es noch nackte Reiterköpfe gibt. Obwohl es doch all die formschönen, farbenfrohen, passgenauen, angenehm zu tragenden, klimatisierten gut & billig Modelle von Uvex & Co. gibt und vor allem all die Studien, die uns beweisen, wie aus einer ungeschützten Melone beim Kontakt mit Asphalt Matsch wird.

Wie schon erwähnt, ich reite unbehelmt. Die möglichen Gründe, die da fantasievoll angeführt werden, treffen sämtlich nicht auf mich zu. Ein ordentlicher Wind ruiniert mir die Frisur ohne Kopfbedeckung wahrscheinlich gründlicher, mein Outfit ist nicht traditionell, und ob mich irgendwer für uncool hält, ist mir sowas von egal. (Da bin ich ganz cool.) Und, ach ja, verantwortungslos. Gegenüber meiner Familie und/oder Freunden, die sich ja dann um mich kümmern müssten, wenn ich sabbernd im Rollstuhl sitze. Müssen sie nicht. Im Gegenteil, ich will hoffen, dass sie in diesem Fall meinen Wunsch respektieren und mich irgendwohin bringen würden, wo mein Selbstbestimmungsrecht betreffend der Beendigung meines Lebens nicht so beschnitten ist wie im schönen Deutschland.

Was ist mit meinem Pferd? Nun, was ist mit meinem Pferd, wenn ich einen Verkehrsunfall habe? Wenn ich an AIDS oder Krebs sterbe? Da hat es wohl einfach völlig unverschuldet Pech gehabt. Das Leben ist kein Ponyhof. In dem Fall, dass ich durch „meinen geliebten Freizeitpartner“ selbst eine so schwere Verletzung davontrage, dass ich nicht mehr in der Lage bin, finanziell für ihn aufzukommen, hat der geliebte Freizeitpartner immerhin selbst dazu beigetragen. (Ja, ich weiß, der arme Zossen kann nix dafür, ist ja nur ein Tier, verhält sich wie eins… darf er auch, mehr dazu weiter unten.)

Und die Allgemeinheit. Ja, die schädige ich natürlich durch die ansonsten nicht potentiell steigenden Krankenkassenbeiträge (in Millionenhöhe, für den einzelnen Beitragszahler, versteht sich). Allerdings nur
gesetzt den Fall, dass ich mich ohne Helm tatsächlich vom Pferd stürze, mit dem Schädel auf der Straße aufklatsche, mir dadurch eine nicht unerhebliche Kopfverletzung zuziehe, die eines Rettungshubschraubers, mehrerer komplizierter OPs und diverser Reha-Maßnahmen bedarf. Aber das ist natürlich bei jedem Ritt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Fall, Pferde sind ja schließlich gefährliche, unberechenbare Monster; da kann immer was passieren. Himmel, jetzt habe ich ob meiner riskanten Freizeitbeschäftigung aber echt ein schlechtes Gewissen! Was ist mit Hooligans, deren Hobby es ist, sich gegenseitig vorsätzlich auf die Fresse zu hauen? Zahlt auch die gesetzliche Versicherung. Was ist mit Assis, die der Allgemeinheit ohnehin schon auf der Tasche liegen, und die im Sommer jeden Tag billiges Discount-Fleisch grillen, Bier und Schnaps saufen und kettenrauchen? Die Kosten für die Behandlung von Bauchspeicheldrüsen- und Lungenkrebs trägt Ihre freundliche AOK. Die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. Wo bleiben die gesetzlichen Vorschriften dafür? Die werden dringend gebraucht; in der Bundesrepublik ist zu meinem großen Erstaunen eben doch noch nicht jeder Furz geregelt.

Und wenn wir schon dabei sind, uns keinen Zacken aus der Krone zu brechen, und unseren wertvollen Kopf schon beim putzen und satteln per Schutzhelm zu schützen, warum dann nicht auch mit Helm schlafen? Man könnte ja eventuell schlecht träumen (von durchgehenden Pferden) und aus dem Bett fallen. Und wieso eigentlich beim Kopf aufhören? Der Helm schützt uns nicht vor Hals- und Beinbruch. Ich bin für eine bundesgesetzlich unter Strafandrohung vorgeschriebene Ganzkörpervermummung für jeden, der sich auf mehr als einen Meter und ohne Zäune, Mauern, Netze und doppelte Böden an so gefährlich große Tiere heranwagt (Ausnahmen sollten allenfalls für Mini-Shettys gelten). Was, wenn das Pferd den wohlbehelmten Putzer und Sattler ansteigt, umrennt, drauf springt, ihm sämtliche Eingeweide zertrampelt, weshalb der Rettungshubschrauber geholt werden muss, und die folgende Not-OP, Reha und lebenslange Pflegebedürftigkeit dessen Familie, Freunde und die Allgemeinheit belasten, ganz zu schweigen von seinem armen kulturlosen Gaul?

Ja, Pferde sind groß und uns an Kraft und Schnelligkeit weit überlegen, und ja, es sind Fluchttiere. Und allein aufgrund dieser Tatsachen bestehen potentielle Risiken. Mit diesen muss ich lernen umzugehen, wenn ich mit Pferden leben will. 100%ig ausschließen kann ich diese Gefahren nie – wer das will, der sollte sich von diesen schönen Tieren fernhalten (oder sich am besten gleich in die Kiste legen).

Das Thema Sicherheit wird in der VFD groß geschrieben, und das ist auch gut so. Nur sollte man sich mal überlegen, was wirklich Sicherheit gibt. Und das sind mit Sicherheit keine noch so guten Helme, keine aufblasbaren Schutzwesten, keine Sicherheits-Steigbügel, keine Stangen-Gebisse oder sonstigen Hilfsmittel und erst recht keine diesbezüglich festgeschriebenen Pflichten. Sondern einzig und allein anwendungsbereites Wissen und praktisches Können im Umgang mit dem Lebewesen Pferd. Und („nur“) das muss vermittelt werden, um einen Ausgleich zwischen Risiko und Sicherheit zu schaffen. Insofern ergeben auch ein Helm, ein Angstriemchen am Sattel u.ä. (und vor allem ein „sicheres“ Pferd) für Kinder und Anfänger Sinn, eben weil es dort noch an Wissen und Können fehlt.

Was mir persönlich Sicherheit gibt, ist Vertrauen. Vertrauen in mich und meine Pferde, Vertrauen in meine Kenntnisse und Fähigkeiten, meine Erfahrung und mein Können, mein Vertrauen zu meinen Pferden und ihr Vertrauen zu mir – das ich mir verdient habe und immer wieder verdiene, jeden Tag neu. Und insofern bin ich Vorbild, sogar ohne Helm und – man glaubt es kaum – für meine anstandslos Helm tragenden Kinder (auch wenn ich nicht meine, das jeder eins sein sollte, immer und jeden Tag).

Fachwissen, Pferdeverstand, reiterliches Können und vor allem dieses unsichtbare Band zwischen Pferd und Reiter kann kein Equipment der Welt aufwiegen oder gar ersetzen. Das dauert natürlich – reiten lernt man sein Leben lang. Ein Helm dagegen ist sehr viel schneller gekauft und aufgesetzt…

Ich werde weiter oben ohne reiten, aber sicher. Denn ein Pferd, auf das ich mich sicherheitshalber nur mit Helm und Schutzweste setzen könnte, würde ich ohnehin (noch) nicht reiten.

Einfach mal ein bisschen nachdenken… und entsprechend handeln.

 

Unsere Mitgliedin ;-) Almut Rohnstock vom Pferdehof Rohnstock ->  www.pferdehof-rohnstock.de reagierte auf den Artikel "Oben ohne" von C. Garbers

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