H.M. Pilartz
Hufrehe und das Fruktan-Märchen
Neue Forschungen und was Pferdehalter zur Vorbeugung und im akuten Fall tun können.
Worum geht es?
Immer mehr "rätselhafte" Hufrehe-Fälle fallen "völlig untypisch" in die vegetationsarmen Wintermonate. Während man in den U.S.A. und in Australien weitgehend zu wissen scheint, dass nicht Fruktane, sondern Zucker und Stärke insgesamt über den Insulin-Stoffwechsel auch ohne Darmgeschehen Hufrehe auslösen, hängt man in Deutschland immer noch an Fruktanen als Ursache und gibt gefährliche Empfehlungen zur Weidezeit nach Frostnächten heraus.
Aktuell laufen zwei spannende Forschungsvorhaben zum Thema Hufrehe in Deutschland.
Hufrehe ist ein Schreckgespenst
Kaum eine Pferdekrankheit verursacht dem Tier so höllische Schmerzen, und dem Tierbesitzer so viele schlaflose Nächte. Es handelt es sich dabei um einen entzündlichen Prozess in den Lederhäuten des Hufes. Medizinisch gesehen ist das keine Krankheit, sondern ein Symptombild, welches sehr unterschiedliche Ursachen haben kann. Man muss sich vorstellen, dass der unterste und kleinste Knochen des Pferdebeines mit einer Art dauerelastischen Verbindung im Hornschuh des Hufes aufgehängt ist.
Anatomisch ist diese Art Aufhängung durchaus mit dem Nagelbett am menschlichen Finger vergleichbar. Genau wie unser Fingernagel kann die Hornwand des Hufes an dieser dauerelastischen Verbindung herunter wachsen.
Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied zwischen Huf und Fingernagel. Auf dem Huf lasten z.B. im Galopp etliche Tonnen Gewicht, selbst im Stand kann das bei sehr schweren Pferden noch eine Dauerlast von gut 200 kg sein. Im Gegensatz zum Menschen hat ein Huftier kaum die Möglichkeit, diesen Aufhängeapparat für längere Zeit zu entlasten. Es kann nicht lange liegen.
Um die Schmerzen bei Hufrehe zu ermessen, stelle man sich vor, man habe sich den Daumennagel mit einem Hammer blau geschlagen und müsse nun Handstand auf diesem Daumen machen!
Eine vergleichsweise harmlose, heute seltene Ursache ist die Überlastungsrehe. Früher nannte man sie auch Pflasterrehe oder auf Englisch „road founder“, weil sie z.B. nach langem Traben von Kutschpferden auf Straßenpflaster auftrat. Heute kommt es eher zur Überlastungsrehe, wenn die „gegenüber liegende“ Gliedmaße verletzt ist. Tiere, die z.B. einen sehr schmerzhaften Hufabszess am rechten Vorderhuf haben, können durch eine Überlastung des linken Vorderhufes dort eine meist leichte Rehe bekommen.
Weiter stehen Vergiftungen zahlreicher Art im Verdacht, eine Hufrehe auslösen zu können. Am bekanntesten ist die Geburtsrehe, durch ein Verhalten der Nachgeburt kommt es zu einer durch eigenes, absterbendes Gewebe verursachten Hufrehe. Über Ursache und Wirkung weiß man bis heute wenig.
Ursachenstreit
Die weitaus verbreitete Form der Hufrehe ist die Fütterungsrehe. Hierzu gibt es eine Anzahl von sich widersprechenden Lehrmeinungen. Bis vor etwa 10 Jahren war man in Deutschland einhellig der Meinung, der Verursacher wäre zuviel Eiweiß, weil Fütterungsrehen entweder nach einer Plünderung der Haferkiste oder auf frischem, grünem Frühlingsgras auftraten. Auch Histamin wurde schon als Verursacher vermutet.
Der auch in Deutschland bekannte australische Hufrehe-Forscher Dr. Christopher Pollitt wies bereits in 2001 nach, dass man Hufrehe mit der Verabreichung von Fruktanen auslösen kann. Das sind langkettige Zuckermoleküle, die im Gras eine Speicherform des durch die Photosynthese gebildeten Zuckers darstellen. Zucker ist der Stoff, der Pflanzen wachsen lässt. Unter bestimmten Bedingungen wird Zucker gebildet, aber ein Pflanzenwachstum ist nicht möglich. Z.B. weil es zu kalt ist (Frostnächte im Frühjahr) oder weil es an Wasser fehlt. Dann speichert das Gras Zucker in Form von Fruktanen.
Langkettigen Zuckermoleküle sind in der Pferdeverdauung nicht so leicht aufzuschließen, man stellte die Theorie auf, dass zuviel davon im Dickdarm des Pferdes ein sog. „Darmgeschehen“ (Dysbiose) auslöst. Durch das massive Absterben von Darmbakterien und ein Durchdringen von den dabei entstehenden Giftstoffen durch die Darmwand würde das dramatische Geschehen in den Hufen auslöst.
Der Hufreheforscher Pollitt zeichnet sich dadurch aus, dass er im Abstand von wenigen Jahren seine eigenen Theorien – zumeist durch tierschützerisch fragwürdige Experimente untermauert – komplett auf den Kopf stellt.
Seine letzte mir bekannte Kehrtwendung erfolgte mit Unterstützung von Asplin und McGowan, man verabreichte gesunden, schlanken Ponys Insulin und löste damit zuverlässig Hufrehe aus. Und zwar ohne jegliches Darmgeschehen….
Insulin als Auslöser von fütterungsbedingter Hufrehe passt weitaus besser als alle bisherigen, eigentlich veralteten Theorien zur Wirklichkeit.
Denn beim Insulinstoffwechsel spielen Zucker und Stärke eine entscheidende Rolle.
Fruktane gehören auch dazu, sind aber nicht allein verantwortlich. Und das erwähnte Darmgeschehen ist vermutlich oft, aber durchaus nicht immer eine Begleiterscheinung, aber wahrscheinlich kein Glied in der Ursache-Wirkungs-Kette.
Ob Zucker aus Rüben, wie er in melassierten Industriefuttermitteln häufig zugesetzt wird, Fruchtzucker aus Äpfeln, Möhren oder Gras, Stärke aus Getreide oder Brot, all das regt durch einen hohen Glucoseblutwert die Insulinproduktion der Langerhans-Inseln in der Bauchspeicheldrüse an.
Insulin ist ein lebenswichtiges Hormon, es hilft, Blutzucker entweder in Muskelzellen oder in Fettgewebe einzulagern. Deshalb produziert der Organismus von Equiden im Herbst besonders viel davon, damit die Tiere sich leichter eine Speckschicht für den Winter zulegen können. (Bei „rästelhaften“ Reheschüben im Spätherbst und Winter ist dieser Effekt wohl der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt!)
Wird nun dauernd zuviel Zucker und Stärke durch die Nahrungsaufnahme als Glukose ins Blut des Pferdes befördert, können weder Muskeln noch Fettgewebe genug davon aufnehmen. Der das Insulin produzierenden Bauchspeicheldrüse fehlt quasi die Antwort „Stopp, es reicht“ durch ein Sinken des Zuckerspiegels im Blut. Sie produziert immer weiter, mit dem Ergebnis einer Hufrehe.
Zuckergras, Bewegungsmangel und Unvernunft
Das typische Hufrehe-Pferd ist ein schneckenfettes Pony auf einer ratzegrünen Weide, welches zusätzlich noch täglich reichlich Mueslifutter oder Hafer von seinem wohlmeinenden Besitzer bekommt. Das Tier wird kaum bewegt, weil der Besitzer keine Lust oder keine Zeit hat, ausreichend Bewegung durch eine große Herde und/oder eine große Weide gibt es auch nicht.
Tragisch ist, dass auch ein dickeres Pferd bei ausreichend Muskelarbeit noch Glukose aus dem Blut fort schafft, wenn, ja wenn es denn wenigstens genug Bewegung hätte……
Leider hat sich das Gras auf unseren Weiden in den letzten 30-40 Jahren grundlegend verändert. Es wurden vor allem für Milchkühe Hochleistungs-Grassorten mit sehr hohem Zuckergehalt gezüchtet. Denn die ersten Hochleistungs-Milchkühe sind verhungert, weil man gar kein angemessenes Futter für ihre enorme Milchleistung hatte. Das ist heute anders, Hochleistungsgräser haben alle Standorte mit ausreichendem Stickstoffangebot – egal, ob als Chemiedünger aufgebracht oder natürlich vorhanden- erobert.
Die Preise für Milch, Butter und Käse sind in den letzten Jahrzehnten so wie die Preise für andere Lebensmittel auch ständig gefallen. Unsere geliebten Pferde zahlen immer öfter durch Hufrehe den Preis für unsere Gier nach billigen Lebensmitteln.
Ein weiterer Grund für die immer mehr zunehmenden Hufrehe-Fälle ist aber auch grenzenlose Unvernunft der Pferdebesitzer. Viele glauben, Gras und Heu wären für ein Pferd so etwas wie Nudeln oder Kartoffeln für den Menschen. Also müsse da unbedingt noch Getreide – am besten als Muesli-Futter – dazu.
So gibt man den vielen leichfutterigen Import-Rassen, die eigentlich gar nicht auf unsere Weiden mit nährstoffreichen Böden passen und sowieso schon durch moderne Hochleistungs-Grassorten hoffnungslos überversorgt sind, quasi den letzten, oft entscheidenden „Schubser“ Richtung Hufrehe.
Isländer, Haflinger, Esel, Mulis, Koniks und ähnlich leichtfutterige Tiere kann man auf fetten Weiden in Flussniederungen oder fruchtbaren Tälern und Ebenen nur artgerecht halten, wenn man sie entweder täglich 8 Stunden hart arbeiten lässt, oder die Weidezeit stark begrenzt UND außerhalb der Weide möglichst spät geworbenes Heu von mageren Böden aus im Zweifel weiter entfernten Höhenlagen füttert.
DAS ist leider ein weiterer verhängnisvoller Irrtum vieler Pferdehalter: HEU IST HEU, oder? Hauptsache, es riecht nicht muffig und staubt nicht, gell?
Dabei kann Heu im Energie-Gehalt zwischen 6,5 und fast 10 Megajoule schwanken. Der Zucker- und Stärkegehalt schwankt noch erheblich stärker. Wie wir gelernt haben, ist Zucker ein Wachstumsmittel. Ist Gras aber im Sommer bereits gelb, wächst es kaum noch und enthält als Folge kaum noch Zucker.
Leider ist DAS Heu, wie es der Landwirt für seine Milch- oder Fleischrinder, seine Schafe und Lämmer haben will, für robuste, wenig genutzte Pferde reines Gift. Lässt man sie nur lange genug davon reichliche Mengen fressen, werden viele von ihnen Hufrehe bekommen.
Lediglich Renn- oder Distanzpferde im Training, Zuchtstuten oder –Hengste vertragen das gleiche Heu wie Kühe und Kälber!
Zucker macht hungrig
Der hohe Zuckergehalt in modernen Zuchtgräsern macht leider nicht nur unmittelbar dick, sondern auch mittelbar. Ähnlich wie beim Menschen behindert reichlich Zucker in der Nahrung ein Sättigungsgefühl. Dicke Ponys auf fetten Uferwiesen fressen immer weiter, weil sie sich nie richtig satt fühlen. Von gutem, spät geworbenem, zuckerarmen Kräuterheu von mageren Böden würden solche Tiere erheblich weniger fressen, weil schneller ein Sättigungsgefühl eintritt.
Was tun mit übergewichtigen Pferden? Am wichtigsten ist, dass man sie NIEMALS hungern lassen darf. Die Pferdeverdauung ist auf Dauerbetrieb ausgelegt, lange Fresspausen führen nicht nur zu Frust, auch Magengeschwüre oder Kolik können die Folge sein. Außerdem kann bei plötzlichem Futterentzug der Leberstoffwechsel lebensgefährlich entgleisen (Hyperlipidämie). Man muss also für ausreichend Futter mit möglichst niedriger Energiedichte sorgen (mindestens 1-1,5 kg pro 100 kg Lebendmasse täglich!).
Es mag teuer erscheinen, z.B. im Rheinland das Heu aus der Eifel, dem Hunsrück, oder dem Westernwald über evt. 100-150 km heran zu schaffen. Aber solches sehr arten- und kräuterreiche Heu gewährleistet die Versorgung mit allem, was das Tier braucht. Lediglich einen Salzleckstein und sauberes Wasser braucht es zusätzlich. Man möge kritisch prüfen, wie viel Geld man im Laufe des Jahres für alle möglichen Mittelchen oder teures Mueslifutter ausgibt. Den Tieren bekäme es besser, hätte man dafür gutes Heu aus evt. weiter entfernten Regionen gekauft. Schließlich hat kein Island-Pferd je darum gebeten, im Rheinland leben zu dürfen.
Trachten hoch?
Für Tierärzte ist Hufrehe ebenfalls ein Schreckgespenst, denn kaum einer Pferdekrankheit stehen sie machtloser gegenüber. Das fängt mit uneinsichtigen Pferdehaltern an, die auch nach dem dritten Hufrehe-Fall in ihrem Stall nicht begreifen wollen, dass sie ihre Tiere systematisch krank füttern. Und hört mit den sehr eingeschränkten Behandlungsmöglichkeiten durch den Durchschnitts-Tierarzt noch lange nicht auf. Die Hufrehe erkennen die allermeisten Pferdebesitzer nämlich erst dann, wenn das Tier vor Schmerzen kaum noch laufen kann. Dann ist die Aufhängung des Hufbeins in der Hornkapsel aber schon weitgehend zerstört, ein Vorgang, den kein Medikament der Welt wieder rückgängig machen kann. Der Tierarzt kann nur noch Symptome behandeln und Schmerzen lindern. Die einzig wirklich wichtige Sofortmaßnahme wäre nun, durch Maßnahmen an den von Rehe geschädigten Hufen eine Lageveränderung des Hufbeines zu verhindern. Dazu sind die meisten Tierärzte aber nicht in der Lage. Hufhandwerker, die so etwas qualifiziert ausführen, sind leider dünn gesät. Zudem tobt vor allem in Deutschland ein Glaubenskrieg um die richtige Methode. Die einen plädieren für ein Hochstellen der Trachten, die anderen wollen die Trachten lieber gleich kürzen.
In Pferdekliniken werden oft alle möglichen Formen von Rehe-Gipsen angebracht, die meistens nur unter Klinik-Bedingungen praktikabel sind.
Ein Hochstellen der Trachten verringert nachweislich den Zug der Tiefen Beugesehne auf das Hufbein, und genau dieser Zug bewirkt in vielen Fällen eine Abwärts-Rotation des Hufbeins in wenigen Stunden oder Tagen nach der Zusammenhangstrennung in der Wandlederhaut. Leider bringt ein Hochstellen der Trachten aber das Hufbein in einen spitzen Winkel zum Boden, wodurch der bei Hufrehe grundsätzlich problematische Druck der vorderen Hufbeinkante auf die Sohlenlederhaut und die Hufsohle nach verstärkt wird. Man hat quasi die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Erschwerend kommt hinzu, dass eine Verringerung des Zuges der Tiefen Beugesehne auf das Hufbein bestenfalls 7-10 Tage anhält, denn dann hat sich der an der Tiefen Beugesehne ziehende Muskel zwangsläufig durch die Entlastung des Hochstellens so stark verkürzt, dass der Entlastungseffekt verschwindet. Nun muss man den Huf aber möglichst bald wieder an den Trachten herunter stellen, eben um den übermäßigen Druck im vorderen Bereich des Hufes wieder zurück zu nehmen. Dieses Zurücknehmen muss mit äußerster Vorsicht in vielen kleinen Schritten erfolgen, weil das Dehnen des verkürzten Muskels leicht den Zug der Tiefen Beugesehne unmäßig vergrößern kann und dann großen Schaden an der sich zaghaft neu bilden Zehenwand-Lederhaut anrichtet!
Daher sind außerhalb Deutschlands viel Veterinäre wieder vom Trachtenhochstand abgekommen, selbst der Erfinder, der U.S.-Amerikaner Dr. Ric Redden setzt ihn nicht mehr ein.
Schnell handeln, das Hufbein unterstützen
Recht neue Forschungen aus Flachslanden bei Augsburg durch den Hufschmied Wolfgang Busch und seine Schüler zeigen, dass die wichtigste Sofortmaßnahme eine Unterstützung des Hufbeins durch Auffühlen der Sohlenwölbung mit allem möglichen Polstermaterial ist. Dies erfordert meist nur wenig handwerkliche Arbeit am Huf, wofür ein Rehepferd in der akuten Phase äußerst dankbar ist. Fällt es ihm doch schon schwer genug, auf zwei kranken Vorderhufen zu stehen, um wie viel schlimmer mögen die Schmerzen dann sein, wenn das Tier auch noch für länger einen Huf aufheben und das Gewicht mit nur einem kranken Vorderhuf tragen muss?
Nach landläufiger Meinung der Tierärzteschaft ist es völlig unmöglich, eine Hufbein-Rotation oder gar ein komplettes Absinken des Hufbeins in der Hornkapsel zurück zu führen. Das stimmt, aber nur in der Momentaufnahme.
Es gibt inzwischen eine große Zahl von Beispielen dafür, dass eine sinnvolle, immer individuell auf den Einzelfall abzustimmende Behandlung und regelmäßige Bearbeitung auch von sehr stark geschädigten Rehehufen über einen Zeitraum von 8-14 Monaten dem Hornschuh ermöglichen kann, wieder korrekt an das Hufbein heran zu wachsen. Als Ergebnis hat das Tier dann wieder einen voll belastbaren Huf.
Im Prinzip ist die Vorgehensweise in allen Fällen relativ einfach. Man muss nur jegliche Last von der Hufwand nehmen, ähnlich wie einem gebrochenen und geschienten Knochen so lange jegliche Belastung erspart wird, bis die Bruchstelle gründlich verheilt ist. Leider dauert die Neubildung einer belastbaren Huflederhaut aber erheblich länger, denn bekanntermaßen braucht eine Hufwand etwa 12 Monate, bis sie komplett von oben nach unten herunter gewachsen ist.
Der untere, den Boden berührende Rand der Hufwand wird nicht umsonst Tragrand genannt, denn beim mit Eisen beschlagenen Pferd lastet hier auf hartem Boden das gesamte Gewicht. Bei den Barhufen amerikanischer Mustang trägt die Sohle und der Strahl allerdings erheblich mehr Gewicht als die Wand. Daher ist es auch vor allem bei kleineren, leichten Pferden mit guten Hufen möglich, während einer nahezu einjährigen Heilungsphase das Pferd fast ausschließlich auf Sohle und Strahl laufen zu lassen. Selbstverständlich ist das Tier in dieser Phase weder als Reit- noch als Zugtier einsetzbar und darf sich nur auf überwiegend weichem Boden bewegen.
Ein Kürzen der nachwachsenden Hufwände verbunden mit einer sinnvollen „Gesamtbearbeitung“ des Hufes ist in kurzen Zeitintervallen von anfangs 2-3 und später 4-5 Wochen notwendig. Einzelne Bearbeitungsschritte kann ein geschickter Pferdebesitzer unter sachkundiger Anleitung aus Kostengründen durchaus selbst ausführen.
Bei schwereren Pferden mit weiten Hufen, wie wir sie häufig bei Warm- und Vollblütern sehen, ist es evt. nicht möglich, den von Hufrehe stark geschädigten Hufen vollständig ohne technisch-mechanischen Schutz ein Laufen auf der Sohle zu ermöglichen. Hier muss im Einzelfall geprüft werden, ob mit der Kombination Sohlenpolster/Kunstoff-Cast, Sohlenpolster/Hufschuh oder Sohlenpolster/Rehebeschlag gearbeitet werden kann. Die erforderlichen Maßnahmen sind im Zweifel sehr erheblich teurer als eine reine Barhuf-Behandlung, aber zwingend notwendig, um dem Tier übermäßige Schmerzen durch massive Sohlenlederhaut-Quetschungen zu ersparen.
Die Freie Hufschule von Wolfgang Busch (www.die-hufschule.de) hat hierzu hoch interessante Forschungen inkl. Messungen im Inneren von Kadaverhufen durchgeführt, deren abschließende Ergebnisse im Laufe des Jahres 2012 vorliegen werden.
Chronische Rehehufe
Wer seinem von Hufrehe befallenen Tier die Zeit und den Aufwand nicht geben kann, sollte es lieber töten lassen.
Ein Tier mit chronischen, oft gar nicht oder völlig falsch behandelten oder beschlagenen Rehehufen leidet unsägliche Schmerzen, die nach schmerzarmen oder gar schmerzfreien Phasen immer wieder schubweise auftreten.
Dabei spielt es eine erstaunlich geringe Rolle, ob ein (sinnloses) Eingipsen über mehrere Monate, ein „Raubritter-Beschlag“, ein Rehebeschlag nach Ruthe oder gar nichts an den Hufen gemacht wird.
Man wundert sich dann, warum das Tier, welches seit Monaten nur altes Heu und etwas Stroh zu fressen bekommt, trotzdem immer neue Reheschübe bekommt. Die Ursache ist in solchen Fällen aber biomechanischer Natur und hat mit dem Stoffwechsel rein gar nichts zu tun. Es ist schlicht so, dass die zaghaft sich neu bildende Wandlederhaut durch die Hebelwirkung der meist viel zu langen Zehenwand immer wieder regelrecht zerrissen wird. Hinzu kommt, dass sich Rehehufe durch ein relativ normales Wachstum an den Hufseiten (Trachten) und durch ein Wachstum nahe Null an der Zehe praktisch selbst steil stellen. Hierbei ist es unerheblich, ob die Wand an der Zehe wegen Mangeldurchblutung nicht gescheit wächst oder – wie mitunter vermutet – normal wächst, aber gestaucht wird. Denn auf den Effekt des Steilstellens hat das keinen Einfluss. Im Ergebnis steht das Hufbein viel zu steil und das Tier leidet unter massiven Drucknekrosen der Sohlenlederhaut, was nicht selten zu Sohlenvorwölbungen oder gar dem gefürchteten Hufbeindurchbruch durch die Sohle führt. Eine sogenannte Hutkrempenbildung am Hufbein bis hin zu Knochenabbau ist bei falsch behandelten chronischen Rehehufen ebenfalls oft zu beobachten (vgl. erstes Foto in diesem Artikel).
Welchen Einfluss haben Endophyten?
Ein Sonderthema sind rätselhafte, sehr drastische Rehefälle, bei denen es oft bereits nach wenigen Tagen zum gefürchteten Ausschuhen, dem vollständigen Loslösen der gesamten Hornkapsel kommt. In Ländern mit wärmerem Klima wie Neuseeland, Australien und nordwestlichen U.S.-Bundesstaaten wie Oregon wurden in solchen Fällen Endophytengifte als Ursache nachgewiesen.
Endophyten sind mikroskopisch kleine Pilze, die in bestimmte Hochleistungsgräser bewusst hinein gezüchtet werden. Sie leben von der Wirtspflanze, sind aber hoch giftig und schützen diese dadurch vor Fraßfeinden. Leider sind das nicht nur Insekten oder Schnecken, sondern auch Kühe und Pferde. Der Heubauer hat bei solchen Hochleistungsgräsern zwar einen höheren Ernteertrag, sein Kunde aber im Zweifel den Schaden.
Die genannten rätselhaften, dramatisch verlaufenden Rehefälle scheinen auch in Deutschland zu zunehmen. Was vielleicht mit dem Klimawandel zu tun haben könnte.
Derzeit gibt es noch kein Labor, welches einen sicheren Nachweis hierzu führen kann. Der Bundesvorstand der Vereinigung der Freizeitreiter Deutschlands e.V. (VFD) lässt derzeit nach einem geeigneten Labor suchen, um künftige Fälle genauer untersuchen lassen zu können. Die aktuell vorliegenden Kenntnisse deuten darauf hin, dass eine gefährliche Konzentration von Endophyten-Giften nur unter bestimmten pflanzenphysiologisch relevanten Konstellationen wie z.B. Nachtfröste, Trockenheit etc. vorkommt.
Daher erscheinen Reihenuntersuchungen auf Endophyten selbst oder ihren Giften an Proben von Weidepflanzen relativ sinnlos.
Endophytengifte finden sich natürlich auch im Heu, welches aus Hochleistungsgräsern geworben wurde!
Völlig offen ist die Frage, in wie weit schleichende Hufrehe sowie chronische Krankheiten wie das Equine Metabolische Syndrom oder das Equine Cushing-Syndrom, die beide oft zu einer solchen führen, etwas mit Endophytengiften zu tun haben.
Nicht auszuschließen ist, dass es eine Wechselwirkung zwischen einem Zuviel an nicht strukturierten Kohlenhydraten (Zucker und Stärke) und Endophyten gibt, denn beides wird uns durch moderne Zuchtgräser beschert, die in den letzten Jahrzehnten alle fruchtbaren und/oder stark gedüngten Weideflächen erobert haben.
Was können wir tun?
Zur Vorbeugung
Bieten Sie ihren Equiden – egal, ob Pferd, Muli oder Esel – vor allem so viel Bewegung wie möglich, im Verein mit Futter von niedriger Energiedichte. Haben Sie nur „fette“ Weiden zur Verfügung für leichtfutterige, wenig beanspruchte Robustrassen, müssen Sie die Weidezeit mehr oder weniger stark begrenzen.
Wem die Zeit fehlt, sein Tier ausreichend unter dem Sattel oder im Geschirr zu bewegen, muss für Haltungsbedingungen mit ausreichend Bewegungsanreizen sorgen. Es ist schier unglaublich, um wie viel mehr sich Pferde, Mulis und Esel von sich aus in größeren, möglichst altersgemischten Gruppen auf ausreichend großen Flächen aus eigenem Antrieb bewegen, im Vergleich zu Boxeneinzelhaft, und sei sie nur über Nacht, oder einer „Päärchen-Haltung“ von zwei phlegmatischen Ponys auf einer kleinen Weide.
Es sollte bekannt sein, dass Futterumstellungen z.B. im Frühjahr beim Anweiden vorsichtig und in „kleinen Zeit- oder Mengen-Häppchen“ durchzuführen sind.
Vergessen Sie Empfehlungen, wann Equiden nach Frostnächten etc. wieder auf die im Zweifel mit Hochzucker-Gräsern bestandene Weide dürfen. Denn nicht nur Kälte in der Nacht gepaart mit starker Photosynthese durch sonnenreiche Tage spielen eine Rolle, sondern auch Trockenheit und der plötzlich danach einsetzende Regen. Vorsicht ist also bei Weiden dieser Art grundsätzlich immer erforderlich und sinnvoll.
Nichts ist wichtiger in einer guten Pferdehaltung als geeignetes Raufutter. Das Auswaschen von „Zucker-Heu“, die Verwendung von Heunetzen sind ein fauler Kompromiss und höchstens für den Notfall akzeptabel. Gleiches gilt für den Einsatz einer „Fressbremse“ (Maulkorb) auf der Weide, oder das verbreitete „Vorstecken“, wenn man die Tiere nicht von der Weide holen will. Sowohl durch „Vorstecken“ als auch durch den Maulkorb verbeißen die Tiere immer wieder zaghaft nachwachsendes Gras, in welchem sich besonders hohe Zuckerkonzentrationen befinden.
Sorgen Sie durch kurze Beschlag- oder Hufpflegeperioden (höchstens 6 Wochen während der Vegetationsperiode, 8 Wochen im tiefen Winter) und durch eine guten, qualifizierten Hufhandwerker dafür, dass die Hufe Ihres Tieres nicht durch die weit verbreitete „lange Zehe“ bereits eine Prädisposition für Hufrehe haben. Hufe mit zu langem „Zehen-Hebel“ zeichnen sich übrigens durch schlechtes Hufwachstum aus, es wird daher immer schwerer, sie in vielen kleinen Bearbeitungsschritten wieder in einen physiologisch korrekten Zustand zu bringen. Das schlechte Hufwachstum ist die Folge von Mangeldurchblutung, eigentlich schon eine schleichende Belastungsrehe. Seien Sie nett zu Ihren Hufhandwerker, machen Sie am Ende seiner Arbeit gleich den Termin für das nächste Mal, so wie beim Frisör, denn die Hufe Ihres Lieblings wachsen genau so zuverlässig gleichmäßig wie Ihre Haare!
Bei Hufrehe
Hat Ihr Pferd einen Hufreheschub, ist das ein Notfall, der genau so schnelles Handeln erfordert wie bei einer Kolik. Bis Tierarzt und Hufhandwerker eintreffen, können Sie die Hufe in Eiswasser-Kübeln kühlen, die zu einem Viertel mit Sand gefüllt sind, damit das Tier weich steht. In jedem Fall soll das Tier sich möglichst nicht mehr als unbedingt nötig bewegen müssen. Am besten ist die Unterbringung in einer tief eingestreuten Box, möglichst zusammen mit oder in Nachbarschaft zu einem Pferdekumpel. Es erfordert eine gründliche Nutzen-Risiko-Abwägung, wenn Entzündungshemmer durch den Tierarzt verabreicht werden sollen. Einerseits ist das in dramatischen Fällen aus Tierschutzgründen geboten, wenn das Tier vor lauter Schmerzen kaum noch stehen kann, andererseits ist das Risiko groß, dass sich das Tier unter Einfluss von Schmerzmittel mehr als nötig bewegt und sich dadurch die Lageveränderung der Hufbeine vermeidbar verschlimmert.
Unterstützungsmaßnahmen am Huf müssen immer darauf zielen, eine Hufbeinrotation und/oder eine Hufbeinsenkung im Ansatz zu verhindern. Dafür muss im Prinzip die Hufwand auf ihrem gesamten Umfang so weit als möglich aus der Belastung genommen werden, das Tier soll seine Last so weit wie nur möglich mit Sohle und Strahl tragen. In der akut hoch schmerzhaften Phase kann man evt. vorhandene Hufeisen durchaus am Huf lassen weil dem Tier das Abnehmen der Eisen kaum zuzumuten ist. Das Sohlengewölbe inkl. Strahl kann provisorisch zunächst mit Polstermaterial so stark gefüllt werden, dass der Beschlag kaum noch auf den Boden kommt. Sobald der akute Schmerz an den Hufen abklingt, sind weitere Maßnahmen – das Abnehmen der Beschläge, Kürzen der Wände, evt. Anbringen von Sohlenpolstern etc. möglich.
Ob das häufig einsetzte Heparin, Blutegel oder ein Aderlass sinnvoll sind, soll hier nicht diskutiert werden, sicher ist nur, dass KEINES dieser Mittel die oben beschriebenen Maßnahmen am Huf ersetzen kann. Jeder Zeitverzug bei den beschriebenen Maßnahmen am Huf bedeutet die Gefahr einer Lageveränderung der Hufbeine und verlängert bzw. erschwert eine vollständige Heilung der Hufe.
WICHTIG: Gute Arbeit am Rehehuf kann ein Hufhandwerker nur leisten, wenn er die möglichst exakte Lage des Hufbeins kennt. Es gibt zwar äußere Anzeichen an chronischen Rehehufen, die Rückschlüsse auf die Position des Hufbeines zulassen, aber niemand hat Röntgen-Augen. Daher ist es die wichtigste Aufgabe des Tierarztes, hierfür gute, aussagekräftige Röntgenbilder – am besten erstellt mit einem digitalen Gerät – zu liefern. Unter Umständen sollte man die Aufnahmen zum Nachweis des Therapieerfolges in einigen Wochen oder Monaten wiederholen lassen.
Die Arbeit an Rehehufen ist eine äußerst schwierige und oft frustrierende Aufgabe. Sie gleicht dem sprichwörtlichen Ritt auf der Rasierklinge. Macht der Huf-Fachmann (oder -Fachfrau) zuviel, hat das Pferd – zumeist – sofort Schmerzen, macht er zu wenig, kommen die Schmerzen evt. in 1-2 Wochen. Es ist definitiv NICHT angestrebt, dem Tier möglichst schnell zu völlig schmerzfreiem Laufen in allen Gangarten auf jedem Untergrund zu verhelfen. Im Gegenteil sollten die Hufe eines Pferdes in Rekonvaleszenz nach Hufrehe gerne etwas empfindlich bleiben, damit das Pferd die noch kranken, sich aber nun wieder „gesund wachsenden“ Hufe nur in Maßen belastet, z.B. im Schritt auf der zumeist weichen Weide. Daher darf das Tier auch nicht von Weidekumpeln gejagt werden!
Patentrezepte gibt es nicht! Was bei einem Rehepferd gut funktioniert, kann bei einem anderen grundfalsch sein. Die Therapie an den Hufen braucht viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl, und sie muss sehr individuell auf den jeweiligen Fall abgestimmt sein. Huffachleute, die eine solche Aufgabe engagiert übernehmen, machen das oft aus einem gewissen Maß an Idealismus. Man sollte freundlich und respektvoll mit ihnen umgehen und sie bei ihrer Arbeit nach besten Vermögen unterstützen.
Link-Sammlung:
http://www.pferdplus.com/news/hufrehe-neue-erkenntnisse-durch-australisches-forscherteam
http://equivetinfo.de/html/kohlenhydrate.html
http://www.hooforthopaedics.com/dhgev/buch.php
http://www.die-hufschule.de/onlineformular_hufrehe.pdf
http://www.fnverlag.de/shop/product_info.php/info/p951_Internationales-Symposium--Hufrehe-.html
http://www.equi-life.eu/upload/publikationen/frueherkennung_und_Symptome.pdf
Die obigen Links sind beispielhaft aufgeführt.
Sie belegen im Positiven wie im Negativen getroffene Aussagen im vorstehenden Beitrag.
Z.T. eignen sie sich, um vertiefend weiter zu lesen, zum Teil auch nicht.
Sie entsprechen inhaltlich NICHT oder NICHT VOLLSTÄNDIG der Auffassung des Verfassers, der im Übrigen jegliche Haftung für die Inhalte der Links ausschließt.
Copyright aller gezeigten Fotos H.M. Pilartz